Eine der aufregendsten Entdeckungen der letzten Jahrzehnte war die Beobachtung, dass Neugeborene ganz alleine zur Brust der Mutter finden können und zu trinken beginnen.

Wenn voll ausgetragene, gesunde Neugeborene nach der Geburt im Haut zu Haut Kontakt auf den Bauch oder die Brust der Mutter gelegt werden, so sind sie wach und aufmerksam. Eine der aufregendsten Entdeckungen in den letzten 15 Jahren war die Beobachtung, dass Neugeborene ganz alleine zur Brust der Mutter finden können und zu trinken beginnen.

Das Baby sollte allerdings nicht gewaschen werden und ab dem Zeitpunkt der Geburt in möglichst ununterbrochenem Hautkontakt mit der Mutter sein. Es sollte nicht gewaschen werden, damit der Geruch des Fruchtwassers noch an ihm haftet, denn das Neugeborene orientiert sich an diesem Geruch. Liegt das Baby nach der Geburt auf der Mutter, ruht es sich erst einmal aus und schaut ganz gebannt zur ihr hin. Kein anderes Gesicht sollte zu Beginn so wichtig sein, wie das der Mutter oder des Vaters. In dieser Zeit weint ein Baby so gut wie nie.
Dieses Anschauen ist ganz, ganz wichtig für das Neugeborene und auch für die Mutter.

Mutter und Baby sind kurz nach der Geburt von Opiaten geradezu überschwemmt. Die Frau ist noch in einem hormonellen Höchststand von Endomorphinen und Adrenalin.
Beide befinden sich in einem emotionalen Zustand, in dem das Außen keinen Platz hat!
Wir sollten größte Achtung vor diesem Zusammensein haben. NICHTS, aber auch wirklich nichts kann so wichtig sein, um die Mutter in dieser Situation anzusprechen und sie aus diesem emotionalen Wahrnehmungszustand heraus zu holen.

Diese erste Bindung ist ein Genuss im eigenen Sein, sowohl für die Mutter, als auch für das Kind. Es gibt kein Zeitgefühl mehr. Gleichzeitig mit dem ersten Blickkontakt spürt das Baby den Herzschlag der Mutter, es hört und sieht zum ersten Mal Helligkeit. Alle Sinne erhalten neue Impulse, die emotional prägen. Diese Erfahrung löst Lebensfreude aus. Wenn das Kind mit großen Augen die Mutter anschaut ist das wie in ein sich spiegeln. Es sieht die Augen, die das gleiche ausdrücken. So fühlt sich das Baby willkommen in seiner neuen Welt.

Ca. 30 - 40 Minuten nach der Geburt beginnt das Baby Saugbewegungen zu machen. Es schmatzt, speichelt und leckt. Auf dem Bauch der Mutter beginnt es jetzt große Anstrengungen zu unternehmen, um ihre Brust zu erreichen. Das Neugeborene macht Schreitbewegungen und schiebt sich zur Brustwarze. Dabei muss es immer wieder Pausen einlegen. Es kann mit seiner Muskelkraft im Nacken, Armen und Schultern schon sein Köpfchen heben und vorwärts robben. Auf seinem Weg unterstützt der Druck der Füßchen die Geburt der Plazenta, und die Gebärmutter wird angeregt sich zusammen zu ziehen. So werden die Blutungen verringert.

Das Baby fängt nun an, die Brust zu berühren und zu massieren. Diese erste sanfte Berührung durch den Kopf oder die Handbewegungen des Kindes bewirkt die Ausschüttung von Oxytocin. Bei den Handbewegungen lässt sich sogar ein koordiniertes Muster erkennen. Durch den Mund und die Händchen wird die Ocytocinausschüttung immer weiter stimuliert.
Der Milchfluss kommt in Gang. Das Baby riecht die Mamille immer wieder, nimmt sie in den Mund, leckt erst dran, spuckt sie wieder aus und schlussendlich umfasst es die Brust und trinkt los. Mit dem Umschließen der Mamille und dem Trinken stellt es die körperliche Einheit mit der Mutter wieder her.
Sein Gaumen berührt die Mamille und löst den Saugreflex aus.
Die Stimulation des weichen Gaumens, der in der embryonalen Phase Teil des Hypophysen-Vorderlappens war, löst eine sofortige Hormonausschüttung aus. Die Endomorphine bewirken ein Gefühl von Lust und Glück. Diese neue Phase löst also Lebensfreude aus. Sein Sehvermögen, Geruchs- und Geschmackssinn haben dem Baby geholfen die Brust zu finden. Wenn das Baby zu saugen beginnt, schaut sein Gesicht auf das der Mutter. Wir sind erst jetzt dabei zu erkennen, wie wichtig diese Erfahrung für Mutter und Kind sind.
Erfahrungen in der Bondingphase bedeuten für das Kind eine zentrale Prägung in seiner Entwicklung. Diese Erfahrungen sind gespeichert, nicht rational aber emotional!
Auch wenn die Mutter nach der Geburt erschöpft oder mit ihren Gedanken woanders ist, entwickelt das Baby eine Eigendynamik, so dass es von alleine den Weg zur Mamille findet.
Es ist einfach voller Selbstvertrauen und Offenheit und auf der Suche nach dieser neuen Erfahrung. Das Stillen schließt die frühe Bindungsphase ab. Dieser erste Kontakt lässt die Anstrengung der Geburt in den Hintergrund treten.
Die erste wertvolle Nahrung, die das Baby erhält - das Kolostrum - enthält viele Immunstoffe, die wie eine Schutzimpfung wirken. Das Kolostrum ist nicht nur Nahrung, sondern es kleidet den gesamten Magen-Darmtrakt aus. Nun beginnen die Verdauungsorgane ihre Tätigkeit aufzunehmen. Mekonium wird schneller ausgeschieden, die Neugeborenengelbsucht ist geringer, der Blutzuckerhaushalt stabilisiert sich usw. Und nicht nur das, die Aktivierung der mütterlichen Hormone bewirkt, dass sich die Mutter mit ihrem Baby immer stärker und tiefer verbunden fühlt. Die Liebe fließt und wir können mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Befriedigung, die das Baby beim Stillen erfährt, sich positiv auf spätere intime Beziehungen auswirkt.

Im Idealfall ist der Vater in diese erste Begegnung mit einbezogen. Das gemeinsame Erleben, der erste Anblick und die Berührung des Neugeborenen erleichtern das Entstehen einer liebevollen Beziehung.

In den ersten zwei Stunden ist die Mutter offen für alle Signale ihres Babys! Wenn ihr Baby nicht bei ihr sein kann, vermisst sie es! Heute 80 - jährige Großmütter bedauern heute noch, dass ihnen ihr Baby nach der Geburt weggenommen wurde.

In den ersten 14 Tagen wird das Gehirn „ geformt“. Babys brauchen den Augenkontakt in der ersten Stunde. Sie müssen angesprochen werden, damit sie den vertrauten Klang von Mutter und Vater erkennen. Sie müssen gehalten und gestreichelt werden, Haut zu Haut Kontakt bekommen und möglichst gestillt werden. So beginnt der Wachstumsprozess der Synapsen. Verbindungen zwischen dem präfrontalen Kortex und dem lymbischen System entstehen, und das Baby lernt aufgrund dieser Erfahrung mit Stress umzugehen.
Babys, die diese Verbindung herstellen konnten, wollen lernen. Kinder, die das nicht kennen lernen konnten, haben Angst vor allem Neuen.

Haben die gesundheitlichen Störungen unserer Zeit ihre Wurzeln vielleicht schon in dieser Zeit? Wenn kein Bonding möglich war und eine frühe Trennung stattgefunden hat, so geht das wahrscheinlich über unsere Anpassungsfähigkeit hinaus. Eine frühe Trennung kann empfänglicher machen für stressinduzierte Krankheitsbilder. Ein Baby, das bei der Geburt schreit, ruft nach seiner Mutter. Daher sollte das Ende der Geburt erst nach dem Bonding und dem ersten Stillen gesetzt werden. Routinearbeiten im Kreissaal, die das ungestörte Zusammensein stören, sollen unbedingt aufgeschoben werden. Die Bedürfnisse der jungen Familie haben Vorrang.

Doch es reicht nicht aus, den Stillbeginn zu fördern. Mütter brauchen anhaltende Unterstützung und Ansprache um 6 Monate ausschließlich und darüber hinaus mit Beikost zu stillen. Die Familie, das soziale Umfeld und das Gesundheitspersonal tragen erheblich zur Stilldauer mit bei.

Stillen von Anfang an befriedigt somit nicht nur das selbstverständliche Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit. Es hilft dem Baby mit Stress adäquat umzugehen, Neugier zu entwickeln, lernen zu wollen und sich in der Welt besser zurechtzufinden.

Claudia Versluis, IBCLC

Kurzvideo zum Stillbeginn:

Für ein problemloses Stillen ist es wichtig, das Baby korrekt anzulegen. In den ersten Tagen üben Mutter und Baby das gemeinsame Stillen. Beide lernen das gute Erfassen der Brust, frühes und häufiges Anlegen, die natürlichen Hungerzeichen des Neugeborenen zu erkennen, oder je nach Stauungsgefühl der Mutter die Brust zu entleeren.

Der Stillbeginn benötigt genügend Zeit und Ruhe. So spielt sich nach Wochen das Stillen gut ein und wird genußvoll.